Deep Dive

Digitale Kompetenz im Beruf

Noch vor zehn Jahren erlebte ich es, dass Seniorenresidenzen ohne WLAN geplant wurden. Man unterschied „Digital Natives“ und „Digital Immigrants“. Heute klingt diese Erfahrung schon wie aus der Steinzeit, denn das digitale Leben ist uns zur zweiten Haut geworden. Wer sein Smartphone zuhause vergisst, fühlt sich nackt und kehrt um! 

Im Berufsleben ist das digitale Arbeiten für fast alle Menschen ganz alltäglich geworden, auch für diejenigen, die im Lager, in der Gastronomie, an der Supermarktkasse, im Krankenhaus oder in der Pflege arbeiten. Unser Leben ist „hybrid“, in einem Kontinuum von digitalen und nicht-digitalen Lebensäußerungen.  

Die Frage ist aber auch, wie wir selbst mit digitaler Kompetenz im Beruf umgehen. Schließlich ist nicht das ganze Leben digital. Und digitale Applikationen und Programme benötigen nach wie vor Menschen, die diese entwickeln, parametrisieren und anwenden. Dabei ist eine der ersten Fragen die nach dem Anwendungsziel:

 

Was willst Du überhaupt tun? 

Und schon längst wissen wir, dass es nicht nur um kühle Rechenaufgaben, rationale Optimierungen und schnellere Aufgabenroutinen, sondern auch um Unterhaltung, emotionalen Selbstausdruck und soziale Interaktion geht. Im beruflichen Kontext geht es um die Frage, welche soziale Rolle ich im digitalen Raum habe und wie ich mit ihr umgehe. Denn daraus ergibt sich ein digitales Aufgaben- und Aktivitätsprofil.  

Dabei ist es ein großer Unterschied, ob ich als Nutzer auf einem elementaren Anwendungsniveau oder als Experte („Key User“) unterwegs bin. Eine Excelt-Tabelle oder eine digitale Pflegedokumentation zu erstellen sind digitale Tätigkeiten, die auf unterschiedlichem Niveau ausgeführt werden können. Hilfreich ist es, sich einmal Gedanken darüber zu machen, welche digitalen Kompetenzen ich auf welcher fachlichen Ebene brauche und welche ich tatsächlich habe. 

Ziel ist dann idealerweise eine gute Passung, ein „Matching“, zwischen verfügbaren und benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten. Da die Welt sich aber rasant weiterentwickelt, brauchen wir auch einen Blick in die Zukunft.  

 

Entscheidend: Umgang mit Wissen und Nichtwissen  

Für unsere digitale Kompetenz im Beruf ist der Umgang mit Wissen und Nichtwissen entscheidend. 2020 erschien mein Buch „Kritik der digitalen Vernunft“. Ich ging beim Schreiben flott an den Start, aber dann fiel mir das Herz in die Hose. Was für ein wagemutiges Unterfangen! Denn mir ging es  nicht nur um Themen wie digitale Identität, digitale Arbeit, digitale Politik und digitale Ethik, sondern auch um den Unterschied zwischen der Entscheidungsfindungen von Menschen und derm von Maschinen! 

Bald erkannte ich, dass die Beschränkung unseres digitalen Wissens nicht nur mich betrifft, sondern alle Menschen. Durch die gewaltige Explosion des verfügbaren Wissens in der Welt müssen wir immer präziser lernen, zwischen unserem tiefen Wissen, unserem Halbwissen und unserem Nichtwissen zu unterscheiden. 

Wissen ist aber nur eine Dimension des beruflichen Handelns. Eine andere ist das Planen und das Steuern. Und hier kommt wiederum der Mensch ins Spiel: Denn jedes Programm muss auf seinen besonderen Zweck abgestimmt und auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen angepasst werden. Dabei gilt regelmäßig: Die Komplexität der Steuerung hat mit der Komplexität des gesteuerten Programms nicht viel zu tun.  

Anders gesagt: Die kognitiven Grenzen eines einzelnen menschlichen Gehirns ändern nichts an unserer Fähigkeit zum Planen und Steuern. Schließlich starte ich ja mein Auto durch das einfache Drücken eines Knopfes, ohne dass ich genau weiß, welche technischen Schritte dadurch ausgelöst werden. 

 

Mit einer persönlichen Strategie zu digitalen Souveränität 

Planen und Steuern aber muss gelernt werden. Das gilt auch für unsere digitalen Kompetenzen im Beruf. Wenn ich sie nach grundlegenden menschlichen Fähigkeiten aufteile, stellen sich folgende Fragen: 

  • Was muss ich wissen?  Welche kognitive Digitalkompetenz ist nötig? 
  • Wie muss ich kommunizieren? Welche kommunikative Digitalkompetenz brauche ich? 
  • Wie gehe ich mit Emotionen um? Welche emotionale Digitalkompetenz hilft? 
  • Was will ich tun und tun können? Welche pragmatische Digitalkompetenz benötige ich? 

Ulrich Hemel | Geschäftsführer Strategie und Wert Beratungs- und Beteiligungs-GmbH | Email | Copyright: Daniel Hemel

Für unsere digitale Kompetenz im Beruf ist der Umgang mit Wissen und Nichtwissen entscheidend

Wenn wir das persönliche Ziel einer digitalen Souveränität verfolgen, dann benötigen wir eine persönliche Digitalstrategie, die auf die genannten Fragen antworten kann. Idealerweise passt diese Strategie zu meinen Interessen und zu meinen beruflichen Aufgaben. Sie muss immer wieder überprüft werden und erfordert immer wieder Schritte der Fort- und Weiterbildung.  

 

„Digitale Ignoranzkompetenz 

Dabei kann es durchaus Überraschungen geben. Denn zur kognitiven Digitalkompetenz gehört besonders die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Dabei wird sogar der Umgang mit dem eigenen Nichtwissen zur Ressource und zum Erfolgsfaktor. Die von mir erfundene und geforderte „digitale Ignoranzkompetenz“ mündet nämlich in die Entscheidung, dass ich mich mit bestimmten Dingen nicht intensiv befasse, sondern mir eher jemanden suche, den ich fragen kann und der dort über ein „tiefes Wissen“ verfügt.  

Auch die emotionale Digitalkompetenz wird häufig unterschätzt. Sie spielt aber für unseren beruflichen Erfolg eine große Rolle. Wie gehe ich mit Frustrationen um, wenn die digitalen Systeme nicht so reagieren, wie ich es will? Welche Form der digitalen Selbstinszenierung wähle ich? Dazu gehören Bildschirmhintergründe vom Firmenlogo bis zum Sonnenuntergang ebenso wie affektiv wirksame Verhaltensweisen wie der Umgang mit der Kamera in Videokonferenzen und vieles mehr… 

 

Werteorientiert im digitalen Raum 

Zur kommunikativen Digitalkompetenz gehört vor allem die richtige Wahl des Kommunikationskanals und der Kommunikationsebene. Konflikte über Mailverkehr auszutragen, bei der in jeder Runde der Verteiler größer wird, vergeudet Ressourcen und ist wenig effektiv.  

Für meine Rolle im digitalen Raum gilt nicht zuletzt die Frage nach meinen persönlichen Werten. Wie gehe ich mit Wahrhaftigkeit um? Welche ethischen Werte vermittelt mein persönliches und mein berufliches Aktivitätsprofil im digitalen Raum? Schließlich und endlich sind wir es, die unser eigenes digitales Kompetenzprofil zu steuern, aber auch zu verantworten haben. Wenn wir das auf reflektierte Weise tun, gewinnen wir jene digitale Souveränität, die zu beruflichem Erfolg führt. Das gilt auch in Zeiten des rasanten Wandels durch KI und die generelle Beschleunigung in der digitalen Welt. 


Weiterführende Literatur: 

Ulrich Hemel, Kritik der digitalen Vernunft, Freiburg/Br. 2020  

Sebastian König, Simon Drescher, Ulrich Hemel, Digitale Kompetenz im Beruf, Stuttgart: Kohlhammer 2022 

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