Deep Dive

Sind Ärzt:innen in der „Silicon Future“ obsolet?

Die Elon Musk-, Mark Zuckerberg- und Jeff Bezos-Anhänger erahnen die Zukunft der Gesundheitsversorgung bereits seit langem. Ausgestattet mit allerlei technischen Devices schwebt und wächst eine Datencloud über uns, die von immer kompetenterer KI permanent überwacht und ausgewertet wird. Zu gegebener Zeit kommen dann Hinweise zu Lebensstiländerung, passenden Nahrungsergänzungsmitteln und wichtiger Diagnostik oder direkte Empfehlungen für die notwendige Therapie auf die Smartwatch geflattert. Der Termin im entsprechenden Gesundheitszentrum ist direkt mitgebucht und ab dem Check-in läuft die passende Behandlung dann vollkommen automatisiert und aus einem Guss. Garantierte Leitlinientreue und absolute Präzision - frei von menschlichen Fehlern. Und in der volldigitalisierten Zukunft können Medikamente und andere erforderliche Therapien aufs Genaueste angepasst verabreicht werden. Schöne neue Welt! 

Ärztliche Tugenden wie Zuwendung und Beratung, ärztliche Qualitäten wie Anamneseerhebung und die körperliche Untersuchung […] werden nicht ersetzbar sein.

Was für manch einen wie eine Verheißung klingt, wird andere an dystopische Romane mit fragwürdigen gesellschaftlichen Entwicklungen erinnern. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist heute nicht mehr, was möglich ist oder sein wird, sondern was davon wir (zulassen) wollen.  

Darauf wird es nie eine abschließende Antwort geben, schon gar nicht in einer immer stärker individualisierten Gesellschaft. Die Antwort kann im jeweiligen Zeitgeist umrissen werden, um in der Folge den entsprechenden Rahmen dafür zu entwickeln. Aktuell werden manche Entwicklungen zwar in Fachkreisen auch im Hinblick auf die zukünftige Perspektive diskutiert, die Realität wird jedoch etwa 9.000 Kilometer von hier im Silicon Valley kreiert, weitestgehend geleitet vom technisch Möglichen. Wir müssen uns also ernsthaft fragen, was wir wollen. Die Professionen müssen sich die Frage nach ihrer Rolle in einem wie auch immer neu gearteten System stellen und sich auf dieses vorbereiten. Was bleibt in dieser digitalen Welt übrig von dem, was wir heute haben?

 

Den Realitätscheck nicht vergessen 

Die Zukunft unserer Versorgung muss digital(er) sein. Das ist die Grundlage der weiteren Entwicklung, und diese – da herrscht weitestgehend Konsens – verläuft leider im Schneckentempo. Darüber wollen wir in diesem Artikel hinwegsehen. Fakt ist, dass es schon jetzt sehr viele Daten über jede:n von uns gibt. Behandlungsrelevante Daten werden zukünftig zunehmend außerhalb und auch weitestgehend im Vorfeld des Ärzt:innen-Patient;innen-Kontaktes generiert werden. Noch sind diese kaum vernetzt und oftmals auch unsortiert, somit kaum auswertebar und einem höheren Nutzen zuführbar. Die Qualität dieser Daten ist für die Versorgungsrelevanz von ganz entscheidender Bedeutung. Entscheidend wird auch die Frage nach der Verantwortung sein. Was bedeutet eine richtige Therapieentscheidung aufgrund fehlerhafter Daten? Was bedeutet eine Diagnose aufgrund einer unglaublichen Datenmenge für das Recht auf Nichtwissen der Patient:innen? Hier gibt es ordnungspolitisch und ethisch noch einiges zu durchdenken. Die Frage in diesem Artikel soll sein: Was bedeuten diese Entwicklungen für die künftige Arztrolle?

Die ärztliche Kunst bewahren 

Ohne Frage wird das Ärzt:innen-Patient:innen-Verhältnis einige Änderungen erfahren. Durch digital vorhandene Daten sind Zweitmeinungen, Fernbehandlungen oder Auswertung durch digitale Unterstützung mit geringen Hürden versehen und auch der Anteil vorinformierter Patient:innen wird steigen. Das Monopol der Ärzt:innenschaft, über medizinisches Wissen zu verfügen und dieses auch anwenden zu können, bekommt somit Konkurrenz. Weitergedacht könnte sogar eine Gefahr in den unglaubliche Datenmengen liegen, wenn diese gepaart sind mit unsachgemäßer, falscher oder kontaktloser Information. Wenn diese ungefiltert mitgeteilt werden, ist der Mehrwert sehr begrenzt. Die Verunsicherung der Patient:innen könnte immens sein und der Drang nach abklärender, unnötiger, vielleicht sogar schädlicher Diagnostik steigen.

Dr. med. Moritz Völker | Vorsitzender der jungen Ärztinnen und Ärzte, Hartmannbund - Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.   | LinkedIn | Copyright: @Hartmannbund

Genau hier braucht es kompetente Ärzt:innen. Der Beratungsaufwand wird künftig wohl ein anderes Level erreichen. Die Einordnung der Daten in den individuellen Kontext wird von ganz entscheidender Bedeutung sein. Die Ärzt:innenschaft wird in keine ernsthafte 1:1-Konkurrenz mit der KI kommen, wenn sie ihre Rolle in dieser Zukunft versteht. KI kann immer nur so gut sein, wie die Algorithmen und Daten, auf die sie sich beruft. Schlechte Daten werden Fehlschlüsse zur Folge haben. Hier kommt die ärztliche Kunst entscheidend zum Tragen. Ärztliche Tugenden wie Zuwendung und Beratung, ärztliche Qualitäten wie Anamneseerhebung und die körperliche Untersuchung sowie die rationale und interindividuelle Entscheidungsfindung in Kooperation mit Patient:innen werden nicht ersetzbar sein. 

Die Mitteilung von Diagnose und Therapie wird auch zukünftig von Mensch zu Mensch stattfinden und dieser Kontakt muss ärztlich geleitet sein. Die Ärzt:innenschaft muss die Chancen der KI nutzen. Die KI wird über einen Datenschatz verfügen und diesen in vielfältiger Weise analysieren und mit neuesten Erkenntnissen abgleichen können in Echtzeit. Darin wird sie konkurrenzlos gut sein. Sie wird über mehr Fachwissen verfügen, aber nicht über mehr praktisches Wissen. Denn dieses ist in der Medizin, anders als in den klassischen Naturwissenschaften, mit der sozialen Komponente Mensch gepaart. Somit kann KI ein zwar unglaublich wichtige Partner sein, aber in der sozialen Komponente wird sie kaum auf Augenhöhe funktionieren können. 

 

Die Zukunft gestalten 

 Wie dieses kooperative Nebeneinander genau ablaufen wird, liegt zum großen Teil in unserer Hand. Es braucht Regeln in vielen Bereichen, auch um ethische Dimensionen der neuen Welt zu erfassen. Welche Daten sollten von einer KI ausgewertet und welche ärztlich gesichtet und bewertet werden? Welchen Stellenwert haben diese für rechtliche Belange? Wann ist die berufsrechtliche Pflicht erfüllt und wann die Sorgfaltspflicht verletzt, wenn man der KI blind vertraut?  

Die unumstößliche Richtigkeit – das lehren uns die letzten Jahrzehnte – hat weder die Ärzt:innenschaft noch die Technik für sich gepachtet. Wir können und müssen das Regelwerk der Zukunft bestimmen. Nicht einmalig und auf immer gültig. Vielleicht sogar mit einem Bekenntnis zum Unperfektionismus – in dem Wissen, dass Entwicklungen dynamisch sind.  

Bei aller Zukunftssehnsucht und Unzufriedenheit mit dem Vorhandenen ist es von immenser Bedeutung, solche Debatten realistisch und außerhalb von technikaffigen Blasen zu führen. Die beste Versorgung wird von denen gestaltet, die sie täglich gewährleisten: Das sind die Professionals im System. 

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