Ein Führungsduo mit Zukunftsvision
PD Dr. Malgorzata Lanowska | Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin | LinkedIn | Copyright: Vivantes
Prof. Dr. med. Mandy Mangler und PD Dr. Lanowska Malgorzata leiten jeweils eine Klinik und darüber hinaus gemeinsam eine Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie. Das moderne Führungsduo hat den diesjährigen Zukunftspreis unseres Verbandspartners, des Verbands leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte e.V. (vlk), erhalten. Im Interview mit Unboxing Healthcare, sprechen die Chefärztinnen über ein neues Miteinander im Klinikalltag, Frauengesundheit – und wie sinnstiftende Arbeit allen Menschen in der Klinik hilft.
Unboxing Healthcare: Wir freuen uns, dass wir euch beide heute interviewen und mehr erfahren dürfen zu dem, wie ihr den Job gemeinsam meistert und welche Impulse dieser so mit sich mitbringt – und wie ihr euch im Alltag so die Bälle zuwerft. Wie seid ihr darauf gekommen, euch diesen Job zu teilen, und was macht das Ganze so besonders? Ihr seid dafür ja auch mit einem Preis ausgezeichnet worden.
Prof. Mangler: Danke erst einmal. Wir haben beide jeweils eine Chefärztinnenstelle, also leiten eine Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie, und dann teilen wir uns noch als Teamchefärztinnen die Leitung einer weiteren Klinik für Gynäkologie. Und wir haben ganz viele Teile unserer Karriere miteinander verbracht und sind eigentlich sehr synchron ausgebildet und sozialisiert – und, wenn man sagen könnte „ja, man will sich klonen“, dann würden wir ineinander einen Klon finden sozusagen. Es ergibt dann natürlich auch Sinn, in eine gemeinsame Richtung zu gehen und dann vielleicht eine Vision von Frauenheilkunde in mehreren Kliniken umzusetzen. Das war eigentlich der Hintergrund.
„Und es ist natürlich auch ein ganz anderer Wert, wenn man gemeinsam in eine Strategiebesprechung, Chefärztinnenbesprechung oder so geht, weil man dann automatisch nicht mehr alleine ist“
Unboxing Healthcare: Sehr cool! Also verkauft ihr euch dann immer als Tandem?
Lanowska: Das machen wir schon auch häufig, aber natürlich nicht immer, weil es ja auch Dinge gibt, die man dann irgendwie alleine macht. Wir versuchen schon die Idee zu vermitteln, dass man die Gynäkologie im Südwesten Berlina – in diesen drei Vivantes-Krankenhäusern – mit uns verbindet als Chefärztinnenduo, genau.
Unboxing Healthcare: Und wie habt ihr das geschafft, es euren Chefs oder Chefinnen klarzumachen, dass das eine super Lösung ist?
Mangler: Also da gab es eine Ausschreibung für den Posten und dann haben wir uns beworben. Daraufhin haben wir unser Konzept beschrieben, das sehr, sehr, sehr umfassend war – also ich glaube, das waren bis zu 60 Seiten Konzept – und da haben wir unsere Vision von Frauenheilkunde und auch frauenzentrierter Medizin oder sagen wir mal von Medizin, die aus Nutzerinnenperspektive gestaltet ist, dargelegt. Und da muss man halt sagen, dann waren wir dann einfach die besten Bewerberinnen, ja. (schmunzelt)
Unboxing Healthcare: Wunderbar. Wie sieht so ein Alltag von euch aus, also wie werft ihr euch die Bälle zu? Wie kann man sich das vorstellen, also wie harmoniert ihr miteinander, wie arbeitet ihr miteinander?
Lanowska: Also wir haben die Werktage im Klinikum Neukölln, in der wir zusammen sozusagen die Klinik leiten, aufgeteilt. Wir haben einen gemeinsamen Tag und die anderen Tage haben wir so aufgeteilt, dass jeden Tag jemand hier ist, weil es ein großer Maximalversorger ist. Und die Klinik befand sich ja auch im Aufbau, während unsere anderen Kliniken ja schon von uns aufgebaut wurden und entsprechend alles so organisiert wurde, dass es sehr gut läuft. Wir telefonieren täglich morgens, das war von vornherein im Vorfeld ja auch schon so gewesen, weil wir eben eng befreundet sind. Und dann besprechen wir die Themen des Tages, also was so an dem jeweiligen Tag anfällt und dringend erledigt werden muss oder eben zu besprechen ist. Und sonst telefonieren wir auch noch mehrfach täglich oder schreiben uns, wenn es Dinge gibt, die es abzustimmen gilt. Aber am Ende ist es so, dass wir dadurch, dass wir uns sehr lange kennen, also nicht nur so als Freundinnen sozusagen agieren, sondern uns auch beruflich so lange kennen und zusammengearbeitet haben. Wir sehen viele Dinge sehr ähnlich, kennen die Arbeitsweise der anderen und können so durchaus antizipieren, was die andere zu einem jeweiligen Thema dann sagen oder denken oder eben entscheiden würde.
Unboxing Healthcare: Das ist ja jetzt nicht nur ein Modell für Frauen. Es ist natürlich gut, weil es eine Möglichkeit bringt, auch Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. So, wie ihr es macht, wäre es auch eine Möglichkeit für viele andere Frauen, auch in Führungspositionen zu gehen. Ist das auch ein Modell, aber auch für Männer? Wünscht ihr euch das auch, dass es mehr Männer in so einem Tandem geben würde?
Mangler: Auf jeden Fall. Es gibt ja in einigen Kliniken zum Beispiel mehrere Chefärzte, die die Urologie betreuen. Ich glaube, in unserem Fall ist es aber nicht so – und wir wollen auch gar nicht so verstanden werden – dass wir sozusagen, weil wir jetzt eine ganze Chefärztinnenposition für uns haben, weil es sonst zu viel wäre. Wir teilen uns die Position, weil jeder von uns ja noch eine andere Klinik quasi alleine betreut. Natürlich kann es sein, dass in besonderen Situationen bei den Frauen sagen, ich will eigentlich eine Führungsposition, aber ich möchte diese nicht alleine übernehmen – aus was für Gründen auch immer, das muss ja nicht immer nur das Thema Kinder sein –, dann ist es eine Möglichkeit, dort mehr Flexibilität hineinzubringen und es allen Menschen zu ermöglichen, die sich das wünschen.
Lanowska: Ja, und es ist ja auch so, dass wir ein bisschen wegkommen von einem sehr hierarchisch geprägten, patriarchalen System. Wir kommen ja schon dahin, dass wir partizipativer entscheiden, mehr Benchmarking machen, miteinander sprechen, gucken, wer was gut kann - und was kann ich von dir lernen. Das Leben in der Klinik ist so ein steter Prozess, der des Besserwerdens auch. Da lernt man voneinander und es ist schön, wenn man da so interaktiv sein kann.
Unboxing Healthcare: Ihr bringt ja mehrere Perspektiven dann zusammen und das macht es ja wesentlich besser. Jede blickt von ihrer Perspektive auf ein Thema auch auf das Thema Führung, aber auch auf medizinische Themen und dadurch kann es nur besser werden. Das ist zumindest so auch unsere Idee von geteilter Führung.
Mangler: Wir haben jetzt auch den direkten Vergleich, wie es ist, eine Klinik alleine zu leiten und auch in der Anfangsphase da zu sein und wie es ist, in der Klinik gemeinsam zu strukturieren. Und es ist natürlich auch ein ganz anderer Wert, wenn man gemeinsam in eine Strategiebesprechungen, Chefärztinnenbesprechungen oder so geht, weil man dann automatisch nicht mehr alleine ist. Und nicht mehr, so sagen wir mal, auch auf eine gewisse Art und Weise ausgeliefert ist oder nur mit sich reflektiert. Das hat eine ganz andere Durchschlagskraft und nochmal eine ganz andere nochmal Möglichkeit des Starkseins und des Voranschreitens. Das ist wirklich hilfreich!
Prof. Dr. Mandy Mangler | Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin | LinkedIn | Copyright: Vivantes
Unboxing Healthcare: Euch ist die Kommunikation auf Augenhöhe wichtig. Das klingt sehr nach der neuen Menschlichkeit. Wie hat sich das dann auf das Team, auf das gesamte Team und damit auch auf die Klinik ausgewirkt? Und wie hat das denn den gesamten Alltag und die Arbeit mit den Patientinnen geprägt?
Mangler: Es ist natürlich auch so, dass wir versuchen, diese Führungskultur auch in unseren Teams, umzusetzen, also dass wir alle Teammitglieder gesehen und gehört werden und dass sie die Möglichkeit haben zu gestalten. Das ist etwas, wo ich merke, dass die Menschen, die mit uns gemeinsam arbeiten, es auch nicht als selbstverständlich – selbst bei unserer Art des Führens – wahrnehmen. Aber ich denke, hier ist jemand, der auf der Station arbeitet, im OP oder in der Ambulanz. Es sind ja Menschen, die dort vor Ort arbeiten und einen Arbeitsplatz haben, den sie unbedingt gestalten können und sollen. Das ist äußerst hilfreich. Es ist ja auch wichtig, dass sie zufrieden sind mit der Arbeit. Und was soll ich irgendwelche Strukturen aufdoktrinieren. Ich habe natürlich eine Idee von Medizin und ich stehe auch immer zur Verfügung, wenn ich Rat geben kann, aber so starre Strukturen vorzugeben, die die Menschen nicht gestalten können, indem sie darin festsitzen und sich machtlos fühlen, das ist, glaube ich, nicht mehr so der Führungsstil der Gegenwart – und der Zukunft auch schon gar nicht. Also das Gestalten, das Miteinanderwirken, das finde ich toll. Und das ist auch am produktivsten. Mitarbeitende identifizieren sich dann und kommen dann vielleicht auch automatisch zu uns, weil sie denken: „Okay, das ist eine Art von Frauenheilkunde, die auf eine Art und Weise eben nicht mehr dieses patriarchale System bedient, sondern ja vielleicht in die Zukunft blickt.“
Unboxing Healthcare: Merkt ihr das schon? Spiegeln euch das auch die Mitarbeitenden?
Mangler: Ja, bei uns bewerben sich ja sowieso die Menschen, die eine ähnliche Vorstellung von Arbeit in der Klinik haben. Wir haben uns schon auch gesucht und gefunden, sind miteinander gewachsen, gehen in die gleiche Richtung. Wir finden jetzt in unserem Team niemanden, der irgendwie so ganz patriarchal-direktiv mit den Leuten umgeht. Ich glaube, wir haben die Abteilung von der Führungsmentalität schon so durchdrungen. Und Menschen, die „versehentlich“ dann bei uns landen oder wo wir es mal probieren, die merken relativ schnell, ob es was für sie ist oder nicht. Es ist auch nicht für jede Person etwas. In der Medizin brauchen manche Leute eine extrem hierarchische Ansprache. Immer noch. Und das kann ich schon auch, das haben wir auch gelernt, diese Sprache sozusagen zu sprechen, aber dann ist es nicht unsere originäre Sprache.
Unboxing Healthcare: Sehr spannend! Merken das auch die Patientinnen?
Lanowska: Die Patientinnen spiegeln uns das vielleicht nicht so direkt. Wann kommt man schon mit einer Patientin ins Gespräch, die einer jetzt widerspiegelt, wie die Hierarchie in einer Klinik ist? Letztendlich aber glaube ich, dass die Teams als sehr positiv bewertet werden. Also häufig bekommen wir Rückmeldungen, dass die Teams sehr nett sind und ein guter Zusammenhalt, kollegialer Umgang besteht, der dazu führt, dass Patientinnen sich gut betreut fühlen, ja.
Unboxing Healthcare: Jetzt haben wir ja überall Pflegekräfte und -mangel. Ist eurer Ansatz eine Lösung für die Zukunft, also auch eine, um unser Gesundheitswesen auch zukunftssicher zu machen?
Mangler: Also ich denke schon, dass man Arbeitsplätze natürlich so gestalten kann und sollte, auch in der Zeit des Fachkräftemangels, wo die Menschen sich wohlfühlen und gestaltend mitwirken und auch eine Identifikation haben. Ob man jetzt ein bisschen mehr Geld bekommt oder sich sehr wohlfühlt und identifizieren kann – das ist dann vielleicht manchmal der höhere Wert. Dass man dann eben irgendwo arbeitet, wo man sinnstiftend zufrieden ist. Das denke ich schon. Auf jeden Fall haben wir sehr viele Menschen, die sich bei uns bewerben und die mit uns arbeiten wollen.
Unboxing Healthcare: Auf LinkedIn hast du, Mandy, zum vlk-Zukunftspreis – Gratulation an euch beide nochmal zu dem Preis – von einer „Vision der starken Frauengesundheit“ gesprochen. Was brauchst du denn für den Erfolg dessen?
Mangler: Danke schön. Ich glaube, dass wir in der Medizin – auch wenn es merkwürdig klingt – die Strukturen häufig nicht auf die Patientinnen anpassen. Deswegen gibt es ja hoffentlich bald auch PROMs [Anmerkung der Redaktion: Patient-Reported Outcomes Measures) und PREMs [Patient-Reported Outcomes Measures], die dann aus Patientinnenperspektive die Qualität evaluieren. Als Patientin habe ich ja überhaupt gar keine Möglichkeit, die Qualität von meinen Behandelnden wirklich herauszufinden. Also wenn ich jetzt irgendeine medizinische Leistung brauche, dann habe ich überhaupt gar keine Möglichkeit, deren Qualität irgendwo abzulesen. Und so ist es eben auch, dass die diesen Systemen gewissermaßen ausgeliefert sind. Und daher ist es notwendig, dass man mehr aus der Perspektive der Patientinnen denkt. Auch wenn es selbstverständlich klingt, ist es im Gesundheitswesen halt nicht immer so. Es ist häufig aus der Perspektive der Gestaltenden gedacht: Das ist dann reibungslos aus der Perspektive der Menschen, die arbeiten, aber die Patientinnen sind dann diejenigen, die lange Wartezeiten haben und/oder nicht wissen, wie es jetzt weitergeht. Und eine frauenzentrierte oder insgesamt menschenzentrierte Medizin hat vielmehr die Person an sich im Fokus und will, dass diese zufrieden und gesund ist. Es ist letztlich auch viel mehr sprechend, als wir es bisher in unseren Alltag integriert haben und weniger mit Brüchen vielleicht versehen. Es ist eine komplexe Vision, die sehr frauenzentriert und aus der Perspektive der Patientinnen gedacht ist.
Unboxing Healthcare: Okay, jetzt stellt euch mal vor, ihr wacht eines Morgens auf und alles ist so, wie ihr es gerne hättet in der frauenzentrierten Medizin. Woran würdet ihr das merken?
Lanowska: (lacht)
Mangler: Ja, man würde es daran merken, dass Menschen entlastet sind und die Mitarbeitenden sehr viel abgenommen bekommen haben, zum Beispiel von digitalen und standardisierten Prozessen. Und man würde es mitbekommen, dass Patientinnen zufriedener und gesünder werden, weil mehr aus ihrer Perspektive und auf das abgestimmt gearbeitet wird, was sie eigentlich wollen. Und das klingt jetzt alles so einfach, die Medizin ist aber so nicht strukturiert – und deswegen freue ich mich auf die Zukunft, die das alles viel mehr abbildet, und eine ganze Menge Entlastung für die Menschen bietet, die im Gesundheitswesen vor Ort arbeiten.
Unboxing Healthcare: Super. Wir wünschen uns mehr Menschen, die so out-of-the-box denken wie ihr, und hoffen, dass ihr mit dem Vorbild, das ihr da praktiziert, vorangeht und dass sich das ganz viele abgucken bei euch. Vielen, vielen lieben Dank! Wir werden sicherlich noch ganz viel mit euch zu tun haben und mit euch dazu kommunizieren, wie die Zukunft der Medizin, der Pflege, der Gesundheit aussehen wird.
Mangler: Ja, herzlichen Dank auch für das tolle Format und die Möglichkeit.
Lanowska: Danke schön.
[…] Hier geht es zum Interview auf der Website von Unboxing Healthcare. […]