Deep Dive

Digital Transformation im Gesundheitswesen: Ein Deep Dive in die Zukunft der Gesundheitsversorgung

Ich glaube, dass digitale Transformation in Deutschland ein sehr persönliches Thema ist, denn viele persönliche Einzelinteressen haben große Auswirkungen auf Transformation und Innovation. Eines ist klar: Das Gesundheitswesen und unsere ganze globale Gesellschaft stehen inmitten einer digitalen Revolution. Die fortschreitende Technologie ändert in rasanter Geschwindigkeit die Art und Weise, wie medizinische Dienstleistungen erbracht und in Anspruch genommen werden. Wenn man sich jedoch damit befasst, wie Menschen digitale Dienste nutzen, sieht man gut, inmitten welcher Veränderung wir stehen. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2022 sind junge Menschen unter 29 im Schnitt knapp sieben Stunden täglich online. Wir gehen also nicht mehr ins Internet, wir leben im Internet. Von der Patient Journey, die digitale und analoge Lösungen bedarfsgerecht integriert, über die elektronischen Patientenakte, telemedizinische Konsultationen bis hin zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Big Data für Diagnosen und personalisierte Behandlungspläne – die Digitalisierung bietet vielfältige Möglichkeiten, Gesundheitsversorgung so zu gestalten, dass sie auch Menschen erreicht, die sieben Stunden am Tag im Internet leben, die auch damit aufgewachsen sind und digitale Verfügbarkeit einfach erwarten.

 

Veränderungsbereitschaft und das „Innovator's Dilemma“

Das deutsche Gesundheitswesen steht jedoch vor einer großen Herausforderung: In der Fachwelt sprechen wir vom „Innovator's Dilemma“. Die Entscheider:innen in traditionellen medizinischen Einrichtungen, Unternehmen, bei öffentlichen Trägern und auch anderen Organisationsformen und in der Politik sind viel zu zögerlich, neue Technologien zu implementieren, da dies mit Risiken und Unsicherheiten verbunden ist – und im Zweifel auch andere Geschäftsmodelle benötigt werden, die noch nicht etabliert sind, oder die bestehende Geschäftsmodelle kannibalisieren. Hinzu kommt, dass bei der Integration neuer Technologien oft ans Licht kommt, wie ineffizient, fehleranfällig und einfach schlecht viele Prozesse sind – für die müsste man dann persönlich Verantwortung übernehmen. In Deutschland haben wir sehr wenig Datentransparenz und ich frage mich oft, ob Menschen noch Leistungen aus dem Gesundheitssystem in Anspruch nehmen würden, wenn sie wüssten, wie es um deren Qualität wirklich steht. Sich diesem Fakt zu stellen, erfordert Mut – mehr Mut, als Veränderung abzuwenden und die Flaws einfach unter den Teppich zu kehren. Das Festhalten an bewährten Methoden und etablierten Strukturen ist ein Hindernis für den Fortschritt. Um die Vorteile der Digitalisierung vollständig auszuschöpfen, müssen die Menschen, die Gesundheitseinrichtungen und -unternehmen vorstehen, bereit sein, sich zu verändern und Innovationen zu akzeptieren – und im besten Falle mitzugestalten. Sie müssen ihre Angst verlieren, vielleicht selbst irrelevant zu werden.

 

Der Technology Adoption Life Cycle und der Tipping Point

Es ist auch klar, dass nicht alle Menschen Veränderung offen gegenüberstehen. Um die Akzeptanz neuer Technologien im Gesundheitswesen zu verstehen, kann der sogenannte Technology Adoption Life Cycle (TALC) herangezogen werden. Dieses Modell zeigt, dass eine Innovationsadoption in der Regel durch verschiedene Gruppen von Menschen erfolgt, von Innovatoren über Early Adopters bis hin zu Mainstream-Nutzern. Wenn eine Technologie einen bestimmten Punkt erreicht, den sogenannten Tipping Point, also den Kipppunkt, breitet sie sich exponentiell aus und wird schließlich zur Norm. Diese Entwicklung ist natürlich nicht aufzuhalten – man kann nur zu den Ersten oder zu den Letzten gehören. Wer digitale Transformation verhindert, erschwert und/oder als reines Risiko betrachtet, gehört zu den Letzen. Ideal ist es, ein Second Mover zu sein – von den Fehlern der Ersten zu lernen, aber dann nicht zu lange zu zögern.

 

Historische Fakten über Veränderungsbereitschaft und Innovation

Die Geschichte des Gesundheitswesens zeigt, dass Veränderung und Innovation eine konstante Notwendigkeit waren. Bereits im 18. Jahrhundert gab es Pioniere wie Edward Jenner, der die erste Impfung gegen Pocken entwickelte. Im Laufe der Zeit haben medizinische Durchbrüche wie die Entdeckung von Antibiotika und die Einführung von Röntgenstrahlen die Gesundheitsversorgung revolutioniert. Diese historischen Beispiele zeigen, dass die Bereitschaft zur Veränderung und zur Annahme neuer Technologien entscheidend für Fortschritt und Verbesserung ist. Hier gilt es, sich zu fragen, wie ein innovationsfreundliches Klima geschaffen werden kann. Aus meiner Sicht müssen Medizin und Ökonomie zusammenarbeiten, denn ohne funktionierendes Geschäftsmodell gibt es keine Innovation - und das sollten Entscheider:innen begreifen und eher fördern als verhindern. Innovation ohne Geschäftsmodell wird Menschen nicht zugutekommen.

 

Globalisierung und die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen

Die Globalisierung hat die Welt vernetzt und den Zugang zu Informationen und Ressourcen erheblich erleichtert. Dies wirkt sich auch auf das Gesundheitswesen aus. Medizinische Fortschritte und innovative Lösungen können nun schneller verbreitet und in verschiedenen Teilen der Welt genutzt werden. Durch die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg können Gesundheitsexpert:innen von den Erfahrungen anderer Länder lernen und bewährte Praktiken übernehmen, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Insbesondere in Europa brauchen wir einen Gesundheitsbinnenmarkt: einheitliche Systeme auf Basis der technologischen Möglichkeiten, die wir heute haben. Das wäre ein internationaler Standortvorteil.

Inga Bergen | Voice of Digital Transformation & Health | LinkedIn | Copyright: Jonas Friedrich

„Eines ist klar: Das Gesundheitswesen und unsere ganze globale Gesellschaft stehen inmitten einer digitalen Revolution.“

Die Bedeutung der Beobachtung von Trends im Consumer-Markt

Wenn man sich nur in der Bubble des Gesundheitswesens bewegt, lebt man im Zweifel in einer Realität, die Jahrzehnte zurückliegt. Trends im Consumer-Markt haben starke Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Ein Beispiel dafür ist der Rückgang der Verwendung der Antibabypille bei jungen Frauen und die steigende Nachfrage nach Versorgung bei Erkrankungen wie Endometriose. Diese Themen waren früher in der Gesellschaft weniger präsent, sind jedoch durch soziale Medien und den verstärkten Austausch von Informationen stärker ins Bewusstsein gerückt. Akteur:innen aus dem Gesundheitswesen, die in der Zukunft noch eine Rolle spielen wollen, müssen Trends aus dem Consumer-Markt beobachten, um auf die Bedürfnisse der Patient:innen einzugehen und innovative Lösungen anzubieten.

 

Patient Centricity und Human Centricity

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen eröffnet die Möglichkeit einer verstärkten Patient Centricity und Human Centricity. Das bedeutet, dass die Bedürfnisse der Patient:innen, ihrer Angehörigen und des medizinischen Fachpersonals stärker in den Mittelpunkt rücken. Durch den Einsatz von Technologie können individuelle Behandlungspläne erstellt und personalisierte Medizin ermöglicht werden. Dies führt zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung und einer besseren Erfahrung für alle Beteiligten – in der neuen Welt, in der Content in noch nie da gewesenen Massen zur Verfügung steht, braucht es einen einfachen Zugang – das ist Menschen in Umfragen übrigens auch am wichtigsten. Wenn alles einen Klick entfernt ist, aber verlässliche Gesundheitsinformationen zum Beispiel nur nach „Vier-Faktor-Authentifizierung“ verfügbar sind, müssen wir uns der Realität stellen, dass viele Menschen den einfacheren Weg wählen werden – und im Zweifel damit auch in eine Realität der „alternativen“ Fakten geraten können.

 

Fazit

Entscheider:innen im Gesundheitswesens tragen die Verantwortung, die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesens sicherzustellen – und das geht nur mit aktiver, konstruktiver und grundlegender Veränderung. Es geht nur, wenn nicht mehr zeitgemäße Gewohnheiten, Geschäftsmodelle, Wahrheiten, hinterfragt und eingestellt werden. Die Digitalisierung verändert das Gesundheitswesen in vielfacher Hinsicht. Die Zukunft der Gesundheitsversorgung liegt in einer patienten- und menschenzentrierten digitalen Transformation.

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